K. Brun: The Abbot and His Peasants

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Titel
The Abbot and His Peasants. Territorial Formation in Salem from the Later Middle Ages to the Thirty Years War


Autor(en)
Brun, Katherine
Reihe
Quellen und Forschungen der Agrargeschichte 56
Erschienen
Stuttgart 2013: Lucius & Lucius
Anzahl Seiten
470 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jon Mathieu, Istituto di Storia delle Alpi ISAlp, Università della Svizzera italiana

«This study is guided by an interest in the lives of ordinary people and the contributions they make to the historical process, even and especially in situations where the struggle is hard and hardly seems worth the effort. It is concerned with domination and discord but also with negotiation, incorporation, and compromise, with exampels of how needs and interests can be expressed in ways that bring about change, and how differences may be reconciled through dialogue.» So umschreibt die Autorin dieser eindrücklichen Studie zur Reichsabtei Salem vom späten 15. bis frühen 17. Jahrhundert ihr Erkenntnisinteresse (S. 12). Salem war ein sehr bedeutendes, reichsunmittelbares Zisterzienserkloster, das im Übergang zur Neuzeit nördlich des Bodensees eine eigene kleine Landesherrschaft ausbildete. In den Jahrzehnten nach 1550 umfasste das Land etwa 850 Haushalte mit gegen 4000 Personen in ungefähr 45 Dorf-, Weiler- und Einzelhofsiedlungen. Das Archiv von Salem gehört zu den umfangsreichsten und am besten erhaltenen Klosterarchiven Mitteleuropas. Die Autorin hat daraus eine sehr grosse Zahl von Quellen ausgewählt und zum Teil auf minutiöse Weise bearbeitet. Die Studie ist die überarbeitete Version einer Dissertation an der University of California at Berkeley, geschrieben in einer gepflegten, narrativen Sprache und mit einer klaren Gliederung.

Nach einer thematischen, methodischen und historiographischen Einführung (Kapitel 1) geht es zunächst um einen schweren Konflikt zwischen Kloster und Bauern, in dem die respektiven sozialen Positionen unter den veränderten Verhältnissen des ausgehenden Mittelalters neu ausgehandelt wurden und der 1473 zu einer für die Folgezeit grundlegenden Vereinbarung führte (Kapitel 2). Das nächste Kapitel befasst sich mit der lokalen Gemeindeorganisation und mit dem Bauernkrieg von 1525 in seiner relativ unblutigen Variante am nördlichen Bodenseeufer. Die sozioökonomische Struktur der Dörfer und Haushalte wird anhand von Quellen beschrieben, die ab den 1580er Jahren fast sprunghaft dichter werden (Kapitel 4): Salem war damals eine relativ polarisierte Agrargesellschaft mit zahlreichen Haushalten am unteren Ende der Besitzskala und einer Oberschicht von grossen Bauern. Ähnlich zweigeteilt war die Agrarverfassung: Auf der einen Seite standen die vielen kleinen Güter, die den Bauern gehörten und im Erbgang jeweils an alle Kinder gingen; auf der anderen Seite gab es die grossen, unteilbaren Pachthöfe des Klosters, welche in der Regel mit mehreren Gesindepersonen bewirtschaftet wurden. Thema von Kapitel 5 ist das sogenannte «Sidelgericht», ein Niedergericht für die zentralen Siedlungen der Klosterherrschaft. Das Gericht wurde von fünfzehn meist aus der bäuerlichen Oberschicht rekrutierten Laienrichtern versehen und war nach Ansicht der Autorin für die Territorialisierung des Rechts sehr bedeutungsvoll. Das letzte Kapitel steht unter dem Titelzitat «Life is Good unter the Abbot’s Crosier» und behandelt weitere Elemente der territorialen Verwaltung wie die Reichssteuern, Huldigungen, Supplikationspraxis, Verteidigungsanstrengungen. Dieses «gute Leben» hatte allerdings seinen Preis: Die Abgaben der Bauern lagen im Vergleich mit anderen Kleinterritorien der Gegend hoch, und die Leibeigenschaft scheint in Salem besonders strikt durchgesetzt worden zu sein.

Historiographisch lässt sich die Studie in die Forschungsdebatte zur spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Agrar- und Politikgeschichte einreihen, die mit Namen wie Tom Brady (Betreuer der Dissertation), Peter Blickle, David Sabean und André Holenstein zu charakterisieren ist. Die Autorin hat sich am stärksten von Blickle inspirieren lassen, setzt sich in verschiedenen Punkten aber auch klar gegen ihn ab. So unterstreicht sie mit Nachdruck, dass der Deutsche Bauernkrieg von 1525 keineswegs einen allgemeinen Niedergang einläutete und das Ausscheiden der bäuerlichen Beteiligung aus dem politischen Prozess bedeutete. Mit ihrer Darstellung ist es ihr gelungen, eine eigene Stimme zu finden, «a narrative of my own about the things I found most important», wie sie einleitend ihre Motivation umschreibt.

In einigen Punkten dürfte der tendenziell kommunalistische Ansatz in der Scientific Community allerdings keinen leichten Stand haben. Die Streitbeilegung von 1473 zwischen Kloster und Bauern wird zum Beispiel als «partnership agreement» bezeichnet (S. 76). Der erste Punkt dieses Dokuments akzentuiert die Leibeigenschaft der Gotteshausleute: Ist es angemessen, eine solche Beziehung zwischen Leibherr und Eigenleuten unter der Kategorie Partnerschaft (anstatt Herrschaft) einzuordnen? An mehreren Stellen verwahrt sich die Autorin davor, den politischen Prozess in Salem während der betrachteten Periode als «statebuilding» anzusprechen. Sie will vielmehr zeigen, dass die kleine Klosterherrschaft eine politische Alternative zur Bildung von Flächenstaaten darstellte. Allerdings erfahren wir wenig über die Zeit, in welcher dann auch für Salem die Stunde des «Staates» schlug (war es ein Niedergang?). Meines Erachtens hätte man auch eine Position wählen können, wie sie etwa Wim Blockmans einnimmt, der die Vorteile von Kleinterritorien in der Frühneuzeit hervorhebt, ohne ihre Defizite aus den Augen zu verlieren.

Diese kritischen Bemerkungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Katherine Brun mit ihrer Publikation einen wichtigen Forschungsbeitrag vorlegt – sorgfältig recherchiert, sehr detailliert und anschaulich ausgeführt. Der Beitrag reiht sich würdig ein in die Reihe der Untersuchungen, welche in den letzten Jahrzehnten an der amerikanischen Westküste zum süddeutschen und schweizerischen Raum im Übergang zur Neuzeit entstanden sind.

Jon Mathieu: Rezension zu: Katherine Brun: The Abbot and His Peasants. Territorial Formation in Salem from the Later Middle Ages to the Thirty Years War. Stuttgart, Lucius & Lucius, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 180-182.

Redaktion
Veröffentlicht am
16.02.2015
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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